Ein wahrer Entwicklungsroman 😊, und das in modernen Zeiten – naja, die 60er und 70 Jahre sind ja für uns schon weit entfernte Vergangenheit, die Welt aber ist seitdem nicht besser geworden. Das über 800 Seiten dicke Buch schildert das Aufwachsen (“the coming of age”) des Jungen Archie Ferguson. Er wächst in einer jüdischen Familie und mit jüdischen Bekannten und Freunden auf. Der Clou des Ganzen ist aber, dass Auster sich fragt “Was wäre wenn…”, d.h., dass er uns an vier verschiedenen Biographien teilhaben lässt, wobei es sich aber stets um den gleichen Archie handelt, ein Einzelkind eines Workaholic und einer eher verträumten, imaginativen Mutter. Mal kommt Vater Stanley ums Leben, mal Mutter Rose; auch mindestens zwei der Archies kommen um. Wir trennen aber beim Lesen nicht messerscharf, denn fast derselbe Archie – was Vorlieben und politische Orientierung, was Geschmäcker und Hobbies, was Baseball und Basketball, was vor allem die Pläne für die Zukunft angeht – tritt uns entgegen. Dabei erfahren wir haufenweise Details über die jeweiligen Handlungsorte: erst Newark, bald – geliebt! – New York, bald Vororte in New Jersey, dann Princeton, Rochester, Paris, kurz London (erinnerte mich an Brinkmanns Ende), über Zeitgeschichte – die Rassenunruhen, die 68er, der Mord an Martin Luther King, Malcolm X, die Kennedys, den unseligen Vietnamkrieg als Schlüsselerlebnis, über Filme, über Weltliteratur, über Zigarettenmarken und Doktorbesuche. Auster zitiert aus Werken des Titelhelden (eine verblüffende Idee, und seitenlang ausgeführt), besonders fasziniert hat mich hier das “Scarlet Notebook”, ein Werk, dass man schreiben und lesen kann, in das man selbst hineingehen kann!
Die Archies haben verschiedene Freunde und Sweethearts, allen voran die “one and only” Amy Schneidermann, aber auch College-Lehrkräfte, Klassenkameradinnen, Cousinen oder Schwestern bester Freunde. In einigen “Leben” hat Archie – getreu dem “Was wäre, wenn”-Motto, auch männliche Geliebte und/oder Sexualpartner.
Archie will Schriftsteller werden. Sein Geburtsort Newark, die Liebe zu Paris und das Übersetzen französischer Gedichte erinnern dabei an Paul Austers eigene Biographie.
Eine Schlüsselstelle bildet die Schilderung seiner Freundschaft mit Artie Federmann (auch er ein “A.F.”). Dieser kommt nach kurzer Zeit durch ein Aneurysma ums Leben, sein Einfluss auf Archie wirkt sich aber den ganzen Roman lang aus. Über die Kumpel Noah, Bobby, Howard etc. informieren Sie sich bitte selbst.
Zu nennen ist hier aber die weit ältere Vivien Schneider (“väterliche Freundin”), die Archie in Paris beherbergt und ihn sehr fördert.
Zusammengehalten wird das Ganze mit einer humorvollen Anektdote. Archies Grossvater, aus Minsk zuwandernd, kommt auf Ellis Island mit einem andern Immigranten ins Gespräch. “Reznikoff ist kein guter Name für die USA, nimm doch einen famliärer klingenden, etwa “Rockefeller!”. Als aber ein Immigrations-Beamter ihn daraufhin nach seinem Namen fragt, kann er nur auf Yiddish stottern: “Ikh hob fargessen”. Worauf der Beamte notiert: Ichabod Ferguson.
Zum Schluss des Buches wird dieselbe Anektdote erneut erzählt. Die Schlange beisst sich in den Schwanz, und (sagt Rumpelstilzchen), wer den Namen kennt, hat Macht über den Menschen.
Was wird nun bei Auster aus der Milieutheorie? In der Jugend der verschiedenen Fergusons nicht viel, denn sie alle sind linke Studenten und Vietnamkriegsgegenr.
Alle vier aber haben die gemeinsame Geburt, dieselben Eltern, dieselbe Umgebung der frühen Kindheit, die sie prägen.
Nun will ich aber die Rezensionen anderer Leute lesen.
My notices about that book:
Paul Auster, 4321
“God was nowhere, he said to himself, but life was everywhere, and death was everywhere, and the living and the dead were joined”
Archie Ferguson
His grandfather, travelling from Russia to Ellis Island, coming to the USA, was told to take another name than the awful Jewish sounding Reznikoff, for example Rockefeller. But when he was interviewed by an immigrant officer, he had forgotten that and stammered in Yiddish “Ikh hob fargessen” (I’ve forgotten it)! and the officer dutifully wrote down: Ichhabod Ferguson.
(To know a name is to have power – over that person – see Grimms Tale “Rumpelstilzchen”)
With this legend (or joke) the thick book begins and ends (a bit like Ouroboros – the snake which bites it’s own tail). We meet 4 Archies (4, 3, 2, 1) with different lives (What could’ve been and did NOT ocur?), but all four of them are in a way the same Archie, of one the father dies, of one the mother, one of them studies in Princeton, the other at the New York University of Columbia, at least two of them die young, but Archie always wants to be a writer and is fond of movies and books (and sex)
A modern novel of education. We ought to know Rouseau’s “La nouvelle Héloise” or Goethe’s “Wilhelm Meister” from former times…882 pages, with endless details about everything.
Sweethearts and sexual partners: Hallie Doyle, Celia Federmann, Amy Schneidermann (the one and only), Mary Donohue, Evie Monroe, Andy, Aubrey, Albert…
Friends: Bobby down the Street, Noah Marx, Artie Federmann, Howard Small, Luther, Billy Best, Vivian Schneider in Paris
Own Works: Mulligan’s Travels, The Scarlet Notebook, Hank and Frank, Laurel & Hardy
Family: Mother Rose, father Stanley, Uncles Lew and Arnold, Grandmother
Emma and -father Benjy, Aunt Mildred, Rose’ sister, Don, Mildred’s second husband, Dan, Rose’s second husband, Amy (in a way), Jim (both of them Dan’s kids)
Lot’s of friends to hang out with
Locations: New York (Columbia, Brooklyn College), Princeton, Newark, Montclair and other similar suburbs, Paris, London
Movies and Literature (all the good ones mentioned 😊 , I sponteanously bought “A tale of two cities”)
Similarities to Austers life: born in Newark, long stages in Paris, wanting to be a writer, translating French poems.