Hotel Naipaula

Der Zuschreiber

In Zimmer 1303 wohnt, solange man sich erinnern kann, der Zuschreiber. Man sagt, er heisse Evgen, man sagt, er sei durch eine Kriegsverletzung erblindet, man munkelt sogar, er bezahle für sein Zimmer nichts. Nun fragt ihr, was denn ein Zuschreiber sei? Man hätte bisher doch nur vom Zuschneider, der Zugehfrau, den Zulus und dem Zugersee gehört? In Wirklichkeit lebt ihr alle mit der Aussage: “Ilias und Odyssee werden zur Gänze Homer zugeschrieben”. Also, mal angenommen, Heraklit hätte gesagt: “Alles fliesst”. Alle, die im nahe waren, haben es gehört. Doch sie sind, wie er selbst, längst dahin, zu Asche oder Moder geworden….Also erzählt die neue Generation das vom Hörensagen, und so fliegt (!) das geflügelte Wort weiter durch die Zeiten, inzwischen ist selbst die Stadt, in der Heraklit (man sagt so) lebte, verlandet und im Sand versunken, und selbst die dortigen inzwischen den Touristen zuliebe ausgegrabenen Gemeinschaftstoiletten sind alles andere als flüssig. Da braucht es doch ganz dringend der Zuschreiber?

Im hiesigen Sprachgebrauch gibt es etwas Einzigartiges, nämlich die Endungen “-miş, -mış, -muş”, die immer dann gebraucht werden, wenn man sagen will: das habe ich nicht selbst erlebt, sondern nur erzählen gehört. “Bir varmış, bir yokmuş…”, “es war einmal wie keinmal”… mit welcher Formel jedes Märchen anfängt. Da passt es doch “wie die Faust aufs Auge ”, dass der Zuschreiber blind sein soll? Er ist niemals Augenzeuge, aber er hört! Man sagt, er könne unterm Brandenburger Tor sämtliche vorbeifahrenden Busse an den Motorgeräuschen unterscheiden, man munkelt, er habe einem rumänischen Panzer angehört, dass Ceaucescu darin versteckt war, dass er die Jungbullen bei ihrer Stampede durch Pampolonas Gassen an den Hufgeräuschen unterscheiden könne…. Im Augenblick sitzt er im 1303 an seiner Braille-Schreibmaschine und schreibt: “Zwischen Mann und Liebe ist eine Frau, zwischen Mann und Frau ist die Welt, zwischen Mann und Welt ist eine Mauer (Jacques Lacan zugeschrieben)”. Wir würden viel darum geben, einmal mit ihm sprechen zu können. Aber er lässt nur Naipaula zu sich.